von Prof. Ralf Stabel, geb. 1965, Theaterwissenschaftler und Tanzhistoriker, seit 2007 Leiter der Staatlichen Schule für Ballett und Artistik Berlin

Über dieses Buch könnte ich ein Buch schreiben. So an- und aufregend ist es. Der Autor hat ein Kompendium vorgelegt, dass sowohl den Ist-Zustand der Berliner Eliteschulen des Sports als auch den Weg dahin nachvollziehbar darstellt. Aber er zeigt auch Perspektiven auf. Viele Aussagen sind mit anschaulichen Diagrammen gekoppelt.

Seine kritische Haltung vertritt der Autor sachlich-emotional und verleugnet dabei seine eigene bundesrepublikanische Herkunft und Sozialisation nicht. Bemerkenswert ist seine mitunter anerkennende Darstellung der Förderung der Bildungs- und Förderungsaktivitäten von Sportler*innen in der DDR. So beschreibt er auch die verpassten Chancen auf Neuorientierung der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR in der Wendezeit und benennt Geburts- bzw. Kardinalfehler bei der Einrichtung der bundesdeutschen Eliteschulen des Sports.

Das Hauptproblem schien zu sein, dass man sich zwischen sportlichen oder schulischen Erfolgen zu entscheiden habe. Das solle so in Zukunft nicht mehr sein, meint der Autor und denkt, dass beides miteinander in Verbindung gebracht werden könnte, wenn man denn wöllte. Denn der Autor meint, dass die starke Fixierung auf die sportlichen Erfolge von Schüler*innen der Sport-Eliteschulen nur ein flüchtiges, momentanes und damit oberflächliches Bild der Leistungsfähigkeit einer Eliteschule des Sports abbilde. Dazu steht aber die Frage im Raum, womit der erhöhte Aufwand aller (Zeit, Geld, Kreativität, Fleiß, Ausdauer etc.) für diese Schulen zur Förderung des sportlichen Erfolges ansonsten legitimiert werden sollte?

Vieles kann der Autor aus eigener Erfahrung berichten. Ausführlich setzt er sich mit dem Schülermangel und seinen Ursachen auseinander und rechnet deutlich mit dem finanziellen Gebaren im Profi-Fußball und mit dem entsprechenden Einfluss des Profi-Fußballs auf die schulische Ausbildung von Fußballer*innen ab. Rüdiger Barney mahnt, dass die Eliteschulen des Sports sich nicht „auf ihren Lorbeeren ausruhen“ dürften. Moderne Schulen müssten sich an neue Gegebenheiten anpassen und sich erfolgsorientiert aufstellen. Dazu gehörten seiner Meinung nach: „ … die Erstellung eines Marketingkonzeptes und der Aufbau einer Organisationsstruktur, die sich wesentlich von den bisher bekannten Formen unterscheiden kann. Dazu zählen u. a. auch die Schaffung einer eigenen Schulidentität, Werbemaßnahmen und eine klare Kommunikation innerhalb des ,Unternehmens Schule‘ unter Einbeziehung aller Partner.“

Grundsätzlich möchte der Autor die Sportschulen auf dem Prüfstand sehen – nicht, um sie abzuschaffen, sondern, um mit Hilfe von Evaluation ihren dauerhaften Verbleib und Erfolg zu sichern.

Wie immer ist alles eine Frage der Perspektive und Bewertung. Wenn unsere Gesellschaft, wenn wir also wieder mit unseren Athlet*innen bei Wettkämpfen um Medaillenplätze mitfiebern wollen, müssen wir dafür sorgen, dass die in Politik und Wirtschaft Verantwortlichen dafür die richtigen Entscheidungen treffen. Das Buch von Rüdiger Barney kann da eine wichtige Diskussionsgrundlage darstellen.

Schon das im Buch vielfach verwendete Wort „Leistungssport“ gibt Auskunft darüber, worum es in ihm geht: im Bereich des Sports etwas zu leisten und schließlich im sportlichen Wettkampf Herausragendes zu leisten. Wer etwas leisten möchte und könnte, ein Talent also, braucht ein Umfeld, d. h. Strukturen und Menschen, die genau diesen Leistungswillen und diese Leistungsfähigkeit erkennen und in vielerlei Hinsicht fördern und damit außerordentliche Leistungen ermöglichen. Davon, und warum dies so oft nicht gelingt, handelt dieses Buch.

 

Allein der Titel ist eine Kernaussage zum bestehenden Bildungssystem – vielleicht nicht nur im Sport: „Ein bequemes System macht bequem.“ Und die Grafik des Covers zeigt den Ausweg: Ausscheren. Besser heute als morgen, damit dieses sich Ewig-im-Kreis-Drehen ein Ende hat.

Rüdiger Barney leitet seine Überlegungen damit ein, dass er feststellt, dass in den ersten Jahren nach der Wende Sportler*innen aus den neuen Bundesländern noch beachtliche Erfolge erringen konnten und dies eben auf die ambitionierte Sportförderung der DDR und die intensive Ausbildung an den dortigen Kinder- und Jugendsportschulen zurückzuführen gewesen sei, dass dieser Effekt aber im Laufe der Jahre naturgemäß abgeebbt und an den Sportschulen im vereinten Deutschland nicht durch adäquate Strukturen aufgefangen worden sei. Bemerkenswert erscheint hier im Text die Vokabel „naturgemäß“. Ist es also die „Natur“ der Bundesrepublik, die Leistung bzw. Höchstleistung nicht mehr ermöglicht?

Denn damals „sahen sich die sportbetonten Schulen der Nachwendezeit ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt mit Kultusbehörden der neuen Bundesländer konfrontiert, die die schulischen Bildungsbelange in den Vordergrund gestellt haben wollten.“ Und die Folgereaktion der Schulen schätzt er als genau die falschen ein: „Viele der ehemaligen Kinder- und Jugendsportschulen begegneten dieser Problematik zunächst damit, dass sie sich für nicht sportlich trainierende Schüler öffneten.“

 

Er tritt schließlich dafür ein, einen neuen Schul-Typ für sportliche Talente zu finden. Sein Vorschlag ist, Sportförderung und einen schulischen Schwerpunkt auf die MINT-Fächer miteinander zu verbinden. Er benennt gute Gründe, warum ihm, als ehemaligem Mathematik-Lehrer und Leiter einer solchen Sportschule, eine Schwerpunktsetzung auf die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sinnvoll und nützlich erscheint. Ob dies erfolgreich sein könnte, obliegt noch der Beweisführung in der Praxis.

Allerdings zeichnet er bereits in der Mitte des Buches eine sehr realistische Zukunftsvision auf: „Leere Kassen werden in den kommenden Monaten und Jahren eine fiskalische Diskussion in allen Bereichen des öffentlichen Lebens nach sich ziehen. Wenn sich die Berliner Sportschulen aktuell orientieren, ihre Stärken herausstellen, sich kritisch selbst beleuchten und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen und umsetzen, können sie ein wichtiger Bestandteil der Berliner Bildungslandschaft bleiben resp. wieder werden.“