Kinder- und Jugendsportschulen der DDR im neuen Kleid?

Wie kam es dazu?

Der nachfolgende Essay rezipiert zusammenfassend grundlegende Erkenntnisse meiner 2018 beendeten Dissertation mit dem Thema „Innere und äußere Einflussgrößen auf die Entwicklung der Kinder- und Jugendsportschulen des DDR während und nach der Wende von 1989/1990“ . Darüber hinaus wurden Themenbereiche fokussiert, die durch aktuelle Entwicklungen für die bildungs- und sportinteressierte Öffentlichkeit von Bedeutung sind.

Das Ziel der Studie war es, die Reaktionen der Protagonisten an den Kinder-und Jugendsportschulen der DDR auf die gesellschaftlichen Veränderungen der Wendejahre zu eruieren. Es sollte herausgefunden werden, inwieweit diese Ereignisse die Bildungsmerkmale beeinflussten. Dazu wurden in der Dissertation historische Archivdokumente analysiert und in 28 qualitativen Interviews 33 Zeitzeugen befragt. Eine wesentliche Erkenntnis war, dass die Arbeit an den KJS bis in das Jahr 1991 hinein nahezu unverändert fortgeführt wurde. Durch eine partielle Ausdehnung der Thematik auf die heutigen Eliteschulen des Sports leistet der Text einen Beitrag zur Diskussion über den Leistungssport in Deutschland und dessen Spezialschulen.

Rüdiger Barney

Leseproben

[…] Für die im DDR-Leistungssport tätigen Protagonisten waren die Umstellungsschwierigkeiten besonders einschneidend. Sie mussten sich aus einer privilegierten, oft abgeschotteten, aber gleichwohl hoch anerkannten Stellung heraus in ihren Lebensweisen und -ansprüchen erheblich umstellen und beschränken. […]
[…] Und trotz allem! Wie ein „roter Faden“ zieht sich eine Frage, oft auch unterschwellig, durch die aufgeworfenen Problemstellungen: Welche potenziellen und realistischen Chancen ergaben sich für die Kinder- und Jugendsportschule der DDR, sich durch frühzeitiges Handeln in der Wendezeit zu einer „reformierten KJS“ und vielleicht einer innovativen Eliteschule des Sports (EdS) zu entwickeln? […]
[…] Als dominierende Erkenntnisquelle der Untersuchung diente allerdings das narrative Leitfadeninterview mit Zeitzeugen und weiteren Sachverständigen. Mit der Entscheidung für diese qualitative Interviewmethode stand eine offene Interviewform zur Verfügung, die dem Interviewpartner ein hohes Maß an Eigeninitiative lässt, weil der Interviewer wenige Vorgaben macht und eher als Moderator agiert. […]
[…] Der Schulleiter war auch dann gefragt, wenn es, vor allem in der Wendezeit, darum ging, Engpässe zu überwinden. So berichtete Schulleiter Alsleben:

„Da gab es ersten Ärger Weihnachten ’88. Da sollten wir unsere Sonderzuteilung an Südfrüchten nicht bekommen. Die ja zu Weihnachten an alle Städte und Dörfer der DDR geliefert wurden. Mit der Begründung: Naja, Deine Kinder fahren doch jetzt sowieso nach Hause zu Weihnachten, da kriegen sie doch ihre Apfelsinen. Also brauchst Du nicht noch zusätzlich welche zu kriegen“. […]

[…] Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, hat der Vereinigungseuphorie eine eher nüchterne Sichtweise Platz gemacht. Immer wieder traf man in den Interviews auf die Vorstellung von Menschen, die einen anderen Weg im Zusammenwachsen beider Staaten, etwa in Form einer reformierten und demokratisierten DDR, bevorzugt hätten. […]
[…] Die in diesem Kapitel aufgeworfene „Nachfolgefrage“ kann nicht ohne eine Einschätzung der Einstellungen und Erfahrungen, auch der mentalen Erlebnisse der am Prozess beteiligten Menschen beantwortet werden. Dabei führte eine nicht unerhebliche personelle Kontinuität an den Schulen dazu, dass, nach wenigen Jahren der Überbrückung, mit dem Wiederbeleben der leistungssportlichen Orientierung erneut der „Geist“ der KJS in die Schulen einzog. […]
[…] Allerdings liefern Einzelfälle, wie die im Sommer 2018 aktuelle Diskussion um das Verhalten des „Elitefußballers Mesut Özil“ im Rahmen des Solidaritätsfotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in dieser Hinsicht pädagogisch bedauerliche Negativbeispiele. Nicht die Tatsache des Auftretens als solche, sondern Özils Unwilligkeit oder Unfähigkeit der nachträglichen Rechtfertigung zeigen ein Defizit in den Erziehungsergebnissen der betroffenen Eliteschule des Fußballs und dokumentieren Mängel in der Persönlichkeitsstruktur des türkischstämmigen deutschen Fußballprofis. […]
[…] Das trifft auf den Fußball, der sich einer medialen Monokultur erfreut, nur bedingt zu. Durch den Umgang mit exorbitanten Geldbeträgen sprengt der Fußball alle bisher bekannten finanziellen Vorstellungen und entzieht sich damit jeglicher vergleichbaren Beurteilung. Denkt man etwa an die Transfersumme von 222 Millionen Euro, die der Spieler Neymar 2017 bewirkte, so übertrifft dieser Betrag die jährlich vom Staat für den gesamten deutschen Leistungssport zunächst angesetzten 130 Millionen Euro bei weitem – eine Absurdität! […]
[…] Schließlich müsste erforscht werden, wie sich die Eliteschule des Sports in der Diskussion um die Ausrichtung des Leistungssports in der Bundesrepublik Deutschland eine öffentliche Sinnhaftigkeit und Akzeptanz erobern kann und ob dies überhaupt, und wenn ja, von wem gewünscht wird? […]