Ein bequemes System macht bequem
Wie kam es dazu?
„Unattraktiv, ineffizient und zu teuer!“
Diese Einschätzung hört man – allerdings meist hinter vorgehaltener Hand – allseits, wenn das Gespräch auf die Eliteschulen des Sports kommt. Dabei finden sich vor allem die Schulen in den neuen Bundesländern und in Berlin in der harschen Kritik, zu Recht? Keinen Zweifel gibt es daran, dass die massive Krise im deutschen Leistungssport im direkten Zusammenhang mit der Ausbildung an den bundesweit inzwischen weit über 40 deutschen Eliteschulen des Sports steht. Sie bilden die Schnittstelle zwischen schulischer Ausbildung und organisiertem Leistungssport.
Dies wurde in diesem Buch zum Anlass genommen, sich mit deren Arbeit und Perspektive zu befassen. Es werden Ursachen und Wirkung zu ausgewählten Problemlagen rezipiert und bewertet. Dabei stieß der Autor immer wieder auf Organisationssysteme, wie beispielsweise Bildungsverwaltungen und Sportverbände, die versucht waren, ihre Aufgaben möglichst bequem zu gestalten. Das impliziert die potentielle Gefahr, dass sich nachgeordnete Institutionen – etwa Schulen – auf die Bequemlichkeit des Systems verlassen und weniger motiviert sind, effizient und innovativ zu arbeiten. Mit dem Titel „Ein bequemes System macht bequem“ soll auf diese Problematik hingewiesen werden.
Adressaten dieses Buches sind neben den Verantwortlichen aus Sport und Schule auch sportbegeisterte Pädagogen und Eltern talentierter Kinder, die eine Eliteschule des Sports besuchen oder besuchen wollen.
Leseproben
Und dabei hatten sich das die Protagonisten der Wendejahre so schön ausgemalt: Wenn zu den durch die überaus erfolgreichen DDR-Sportler errungenen Medaillen die aus der Bundesrepublik hinzukommen würden – na dann ist das Vereinigte Deutschland endgültig die global führende Sportnation, zumindest aber mischt sie dann in der „ersten Liga“ mit. Dass es hier allerdings keinen Automatismus geben würde mahnten wache Sportfunktionäre schon Anfang der 1990er- Jahre an und riefen zu einem kollektiven Aufbruch und einer strategischen Entwicklungsplanung im neuen, nun vom Westen dominierten Sportsystem auf. Der Aufruf blieb weitgehend ungehört, Ansätze versickerten. […] Heute, über dreißig Jahre später, beklagen wir die Erfolglosigkeit unserer Spitzensportlerinnen und –sportler und die Naivität des damaligen Denkens. […]
Nach dem Erreichen des schulischen Bildungsabschlusses schloss sich für den KJS-Absolventen in der Regel ein Studium an, in dem auf die Bedürfnisse der Kadersportler erhebliche Rücksichten genommen werden musste. Da weiterhin erhebliche Trainingsumfänge zu bewältigen waren, konnte vielfach an ein geordnetes Studium nicht gedacht werden. Schulische und persönliche Bedürfnisse hatten sich den leistungssportlichen Belangen unterzuordnen. […]
Von den Mangelerscheinungen des real existierenden Sozialismus der 1980er Jahre waren die Kinder- und Jugendsportschulen nicht betroffen. Sie wurden mit ausreichend Personal und Material ausgestattet und konnten auch am Investitionsbudget des Staates erheblich partizipieren. […]
Seit mehr als zehn Jahren wird die Aufnahmezahl von 280 Schulplätzen für die 7. Jahrgänge der drei Schulen nicht mehr erreicht. Das kann in einer wachsenden Stadt wie Berlin mit nahezu 4 Millionen Einwohnern eher weniger in der mangelnden Anzahl von Talenten begründet liegen. Die dargestellte Entwicklung ist auch deswegen erstaunlich, weil der Sport sich eigentlich ständiger, meist positiver Aufmerksamkeit bewusst sein darf. Eher scheint die nachlassende Interessenlage unter anderem an eine verbesserungsbedürftige Außendarstellung der Schulen gekoppelt zu sein. Die Berliner Entwicklung ist, unabhängig von der ausgelaufenen Pandemie, in zweierlei Hinsicht bemerkenswert evident und bedarf der näheren Betrachtung:
- Sporteliteschüler bedeuten für den Steuerzahler eine erhebliche finanzielle Investition, denn es müssen nicht nur die realen Neueinschulungen gegenfinanziert werden. Vielmehr ist wegen der nach wie vor geltenden Richtzahlen auch die dafür notwendige Infrastruktur vorzuhalten.
- Abnehmende Neuaufnahmen deuten auf eine mangelnde Attraktivität der drei Schulen bzw. des dahinterstehenden Systems hin. Den Rückgang überwiegend auf den mangelnden Leistungswillen der Jugendlichen zurückzuführen greift zu kurz und wird der Sache des Sports nicht gerecht. Es bliebe einer weiteren Betrachtung überlassen herauszufinden, inwieweit dieser Berliner Trend auch bundesweit zu beobachten ist.
Bis heute werden die Berliner Sportschulen von den politisch Verantwortlichen gern als die „Leuchttürme des Berliner Schulwesens“ bezeichnet, sie werden gelobt, verhätschelt und – nicht zuletzt – auch mit erheblichen Steuermitteln bedacht. Jeder dieser Schülerplätze ist mehr als doppelt so teuer wie der an einem herkömmlichen Gymnasium! […]
Die Hanns-Braun-Straße, im noblen West-Berliner Westend gelegen, erfüllt zwei Funktionen: Zum einen dient sie den Privilegierten, die den nahen Olympiapark befahren dürfen, als Zufahrtstraße zu allerlei Aktivitäten um das Olympiastadion herum, vorbei an einer von mürrischen Wärtern bewachten Schranke. Alle anderen nutzen sie am Rand als Parkmöglichkeit, um per pedes auf das Gelände zu gelangen. Zum Beispiel um, wie 2020 geschehen, an einer Vorstandssitzung teilzunehmen. Da sind dann auf dem Gelände vor dem Areal von Hertha BSC die Karossen zu bewundern, mit denen sich die Profis des Vereins und deren Entourage fortzubewegen pflegen. Egal – ob geleast oder gekauft – da sammeln sich einige Millionen Euro auf dem Parkplatz. Nach getaner Arbeit kreuzen sich dann gegen Abend die Wege aller Beteiligten. Als Fußgänger tut man gut daran die Augen offen zu halten, um gesund wieder an seinem Auto zu landen. So konnte sich der Autor vor einigen Monaten gerade noch in sein Auto retten, als ein SUV – dieses Fahrzeug heißt wohl wie das Schalentier „Hummer“ – mit abartiger Geschwindigkeit haarscharf an ihm vorbeidüste. Am Steuer konnte ein „Jungstar“ der Hertha-Bundesligagarde gerade noch ausgemacht werden. Puh, noch einmal davongekommen! […]
In vielen Bereichen und an diversen Beispielen wird deutlich, dass der Profifußball Strukturen einer Welt mit selbst verfassten Regeln des Zusammenlebens aufweist:
In diesem Universum wird Macht ausgeübt, eine separate Hierarchie mit einer eigenen Gesetzgebung und interner Gerichtsbarkeit funktioniert unabhängig von der Gesellschaft als Ganzer. Spieler, Trainer, Manager und Spielerberater sind privilegiert, haben oft ein extrem hohes Einkommen und einen höheren gesellschaftlichen Status. Überdies gibt es im Profifußball eine eigene Kultur und Identität, die oft stark von den übrigen und üblichen Normen abweicht: Fußballfans haben ihre eigenen Rituale, Symbole und Sprache, die nur innerhalb der Fußballgemeinschaft verstanden werden. Darüber hinaus gibt es auch Probleme und Herausforderungen wie Korruption, Doping und Gewalt im Profifußball, die Spezifika dieser Parallelwelt sind. […]
Eine Krankenschwester in Berlin, um der Realität noch näher zu rücken, verdient mit ca. 38.500 € im Jahr weniger als Manuel Neuer am Tag. Selbst Niklas Süle benötigt lediglich drei bis vier Tage, um das Jahreseinkommen besagter Krankenschwester zu erreichen. Aber auch der „Durchschnittsprofi“ der 1. Liga benötigt dazu lediglich gute fünf Tage, selbst Profifußballer der 2. Bundesliga lediglich einen knappen Monat. […]
Schließlich sollte das schulische Personalmanagement als eine stärker strategische Komponente begriffen werden. Persönlichkeiten sind gefragt! Ist es eigentlich in jedem Fall sinnvoll, Schulleiter einer EdS vordringlich nach seinen Verbindungen zum Leistungssport auszuwählen? Oder macht es vielleicht gerade Sinn, keine solchen Anbindungen zu präferieren? Oder macht es die „Mischung“? […]
Bei allem geht es darum, ein verändertes Bewusstsein zu schaffen und somit auch den „Geist der Schule“ zu bestimmen. Es geht am Ende um ein emanzipatorisches Zusammenwirken aller Beteiligten. […]
Die sportpolitische Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland hat nach den Olympischen Spielen von Rio des Janeiro an Vehemenz erheblich zugenommen. Mahnende Worte dazu findet die Diskuswerferin und Olympiasechste von Tokio Nadine Müller zum Abschied ihrer Karriere: „Seit 2016 kann man leider in Deutschland den Fall der Leichtathletik verfolgen. Das schreitet ganz schön schnell voran. Jetzt sieht man, dass bei der Sportreform des DOSB ein bisschen was falsch gemacht wurde und ich glaube, wir werden nach 2024 noch weniger Athleten bei Olympia ganz oben stehen haben, die der Nachwuchs als Vorzeigesportler braucht, um überhaupt wieder Spaß am Sport zu haben“ (Berliner Zeitung Nr. 206 v. 5.9.2022). Deutschland habe es versäumt, den Nachwuchs nach oben zu ziehen. […]
Erfolglosigkeit im Leistungssport verlangt nach Aussprache und tragfähigen Konzepten. Dabei wurden und werden wieder verstärkt Einflussgrößen des DDR-Leistungssportsystems, etwa die Konzentration auf weniger Trainingsstützpunkte, heftig diskutiert. Hierein fällt ferner die vonseiten des Sports vehement vorgetragene Forderung nach einer wieder stärkeren Position des Trainers, die auch mit einer besseren Bezahlung einhergehen soll. […]