in großen Teilen veröffentlicht in tagesspiegel.online vom 24.8.2023
Eine Abrechung mit der Parallelwelt Profifußball – Der Fußball ist zum reinen Geschäft verkommen. Und das hat inzwischen auch Einfluss auf die Basis. Auch dort dreht sich fast alles nur noch ums Geld.

Die neue Bundesligasaison hat gerade begonnen und – um es gleich vorweg zu gestehen: Ich verfolge immer noch das Fußballgeschehen, sitze samstags ab 15.30 Uhr vor dem Info-Radio, schaue ab 18 Uhr Sportschau, kann mich an schönen Toren richtig erfreuen und nehme mit Genugtuung zur Kenntnis, wie sich Menschen beim und mit dem Fußball wiederfinden und identifizieren, dort ihre „Heimat“ und sozialen Ausgleich finden und meinetwegen auch – einigermaßen gesittet – ihren Emotionen freien Lauf lassen. Die Spiele der Frauenweltmeisterschaft waren, bei aller Tragik für das deutsche Team, mit Freude zu verfolgen.

Und trotzdem bin ich stinksauer darüber, wie sich der Männerfußball in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat, was Menschen diesem von der Anlage her so tollen Spiel angetan haben, wie sie ihn pervertiert haben! Bin sauer darüber, dass sich eigene Gesetze, eigene Strukturen, absonderliche Verhaltens- und nicht nachvollziehbare Verfahrensweisen fernab des üblichen täglichen Lebens entwickelt haben. Entsetzt bin ich darüber, dass sich körperliche Gewalt nun offenbar schon in den Jugendfußball hinein verschoben hat: der Tod eines 15jährigen Berliners, hervorgerufen durch einen 16jährigen Fußballgegner bei einem Turnier in Frankfurt/Main im Mai 2023 macht sprachlos. Es ist einfach extrem bedauerlich, dass sich außerhalb unserer gesellschaftlichen Konstitution eine weitere Ebene einschieben konnte, die man mit Fug und Recht „Parallelwelt Profifußball“ nennen darf.

Gleichwohl ist Fußball ist eine der beliebtesten Sportarten der Welt und hat eine große Bedeutung in der Gesellschaft. Er bringt Menschen aus verschiedenen Altersgruppen, Kulturen und sozialen Schichten zusammen und schafft eine gemeinschaftliche Atmosphäre, die Menschen vereint und Freundschaften entstehen lässt. Fußball ist oft eng mit der Identität und dem Stolz einer Nation oder einer Region verbunden. Der Erfolg einer nationalen Fußballmannschaft kann ein Gefühl von positivem Nationalstolz auslösen und eine Identifikation mit der Heimatregion fördern. Nicht zuletzt schafft Fußball Arbeitsplätze in den Bereichen der Veranstaltungstechnik, des Caterings und der Eventdienstleistungen.

Fußball kann auch politische und soziale Bewegungen inspirieren oder unterstützen. In einigen Fällen wurden diese zu Sinnbildern für soziale Veränderungen oder politische Bewegungen, wie etwa beim FC St. Pauli in Deutschland. Der Hamburger Traditionsclub machte den Totenkopf, im Seemännischen Zeichen der Piraterie und Symbol für „Arm gegen Reich“, zu seinem Clubsymbol. Der Verein gilt in der Fanszene als Sinnbild gegen übermächtige und reiche Clubs und dokumentiert damit seine gesellschaftliche Position. Soziale Zugehörigkeit lässt sich auch in der Rivalität zwischen den argentinischen Vereinen Boca Juniors und River Plate beobachten, beides Vereine aus Buenos Aires. Hier zeichnet sich die Gegensätzlichkeit der Stadtteile ab, in denen die beiden Klubs beheimatet sind: La Boca ist ein Arbeiter-, Emigranten- und Armenviertel, während die Stadtteile Belgrano und Núñez, auf deren Grenze sich das Stadion von River Plate befindet, durch die Mittel- und Oberschicht geprägt ist.

 „Geld regiert die Welt“

Durch den Umgang mit exorbitanten Geldbeträgen sprengt der Männerfußball heute alle bisher bekannten finanziellen Vorstellungen und entzieht sich damit jeglicher vergleichbaren Beurteilung. Denkt man etwa an die Transfersumme von 222 Millionen Euro, die der Spieler Neymar 2017 bewirkte, so übertrifft dieser Betrag die jährlich vom Staat für den gesamten deutschen Leistungssport angesetzten 130 Millionen Euro bei weitem – eine Absurdität!

Unsummen von Euros bewegen sich monatlich auf die Konten von Profifußballern. Die folgenden Zahlenangaben beziehen sich lediglich auf deren Bruttogehälter, vielfach kommen weitere, nicht unerhebliche Einkünfte aus Sponsoring und Werbung hinzu. Bei der Höhe der gezahlten Gehälter verblasst auch das immer wieder angeführte Argument des frühzeitigen Karriereendes zunehmend.

In der Ersten Fußballbundesliga schwanken die Gehälter, je nach Verein und Vertrag: Manuel Neuer, als Topverdiener, erhält nach Schätzungen der Fachpresse 15 Mio. € im Jahr, Niklas Süle immerhin noch 4 Mio. im Jahr. Das sind für Neuer täglich 41.000 €, für Süle auch noch 11.000 € Tag für Tag.

Aber auch das Durchschnittsgehalt eines „normalen“ Bundesligaspielers der 1. Liga kann sich, nach Angaben der Deutschen Fußballiga (DFL) für die Saison 2019/2020, mit jährlich 2,67 Mio. € sehen lassen! Das sind 7.300 € täglich.

Die Dimension wird deutlich, wenn man diese Daten mit den Jahreseinkommen „normaler“ Bundesbürger vergleicht.

Laut Statistischen Bundesamt betrug das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in Deutschland 47.300 €.

Eine Krankenschwester in Berlin, um der Realität noch näher zu rücken, verdient mit ca. 38.500 € im Jahr weniger als Manuel Neuer am Tag. Selbst Niklas Süle benötigt lediglich drei bis vier Tage, um das Jahreseinkommen besagter Krankenschwester zu erreichen. Aber auch der „Durchschnittsprofi“ der 1. Liga braucht dazu lediglich gute fünf Tage, selbst Profifußballer der 2. Bundesliga lediglich einen knappen Monat.

Die Einkommensverhältnisse von minderjährigen Spielern im Schüleralter werden nicht erfasst resp. bekanntgemacht. Nach Berichten „hinter der vorgehaltenen Hand“ werden für „talentierte“ Spieler, etwa C-Jugendliche von 15/16 Jahren, Zuwendungen an die Eltern von durchaus vergleichbaren Gehältern der 4. Liga (Regionalliga ca. 78.000 €/Jahr) geleistet. Das übersteigt das Gehalt ihrer eigenen Lehrer und das schmale Budget unserer „Vergleichskrankenschwester“ um mehr als das Doppelte!

Die Einkünfte und Verhaltensweisen der „Spezies Spielervermittler“ bleibt mit Rücksicht auf den Blutdruck des Autors an dieser Stelle unbehandelt!

Es wird auch so deutlich, dass hier Grenzen überschritten werden, die nur in einer „Parallelwelt“ Akzeptanz finden können.

In diesen Kontext passt auch das Agieren des Profifußballs in der Corona-Krise. „Der Fußball ist gegenwärtig ein Feld strategischer Innovationen“, schreibt Gunter Gebauer, Berliner Sportphilosoph, in der Berliner Morgenpost inmitten der ärgsten Inzidenzen etwas sarkastisch. Er führt an, dass in der Hochphase der Pandemie von der ersten bis zur dritten Liga Fußball gespielt wird, obwohl fast alle „… öffentlichen Betätigungen, die Freude bereiten, untersagt sind. […] In den Augen großer Teile der Bevölkerung wird dieser Sonderweg als skandalös empfunden.“ Gebauer macht klar, dass dies eigentlich nur dem Fußball mit „seinem bestimmenden Einfluss“ gelingen konnte.

Vom Amateur zum Profi

An dieser Stelle soll betont werden, dass es hier um den exaltierten Profifußball geht. Dabei wird keineswegs verkannt, dass im „Breitenfußball“ mit großer Verve viel geleistet wird, meist von Ehrenamtlichen und mit geringen Aufwandsentschädigungen. Gleichwohl leidet auch diese Community unter den Auswüchsen des Profifußballs, da es die Reputation dieser Sportart beschädigt.

Es gab sie sicherlich einmal, die „lupenreinen“ Amateure im Hochleistungsfußball. Sie wurden als lokale Helden ihrer Vereinsgemeinschaft wahrgenommen und geachtet. Dazu der Ökonom Rautenberg: „Solange in der Folge Profis und Zuschauer demselben sozialen Milieu entstammten und den gleichen kulturellen und sozialen Hintergrund hatten, wurde dieses Verhältnis auch nicht vom Profitum […] beeinträchtigt.“

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die strukturellen Veränderungen im Vereinsfußball vor allem in Großbritannien, aber auch auf deutschen Boden, vor allem verbunden und initiiert durch die industrielle Revolution. Die Sozialstruktur der Bevölkerung hatte sich verändert. Da sich der Fußballsport zunehmend zu einem „Zuschauersport“ gewandelt hatte, sah die sich herausgebildete Oberschicht von Beginn an die ökonomischen Möglichkeiten. Die Vermarktung des Fußballvergnügens ließ aus der ehemals eher persönlichen Beziehung der Förderer und Ausübenden des Fußballs sehr schnell eine „… komplexe, unpersönliche, vertraglich geregelte Beziehung werden,“ stellten die britischen Soziologen Dunning und Sheard schon 1979 fest. Der Schritt zum Profitum war nun nicht mehr sonderlich weit!

Insgesamt war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderungen im Fußball. Der Sport wurde immer professioneller und internationaler und entwickelte sich zu einer der beliebtesten Freizeitaktivitäten weltweit. In vielen Ländern organisierte sich der Fußball neu, in Deutschland wurde der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gegründet. Die Zuschauerzahlen stiegen, die Professionalisierung des Sports setzte sich fort, wobei aber auch immer wieder schon von Diskussionen über die Rolle des Geldes im Fußball berichtet wird. In den 1920er Jahren entwickelten sich als Vorboten eines Marketings auch erste internationale Wettbewerbe wie der Europapokal der Landesmeister oder der Europapokal der Pokalsieger. Die Nationalmannschaften begannen ebenfalls, regelmäßig gegeneinander anzutreten.

Bis zur Wende spielten im Weltfußball „bekennende Profis“ des Westens und „Staatsamateure“ des Ostens Fußball. Durch die Auflösung der politischen Einflusssphären und die sich entwickelnde Globalisierung verwischten sich diese Grenzen zunehmend und rapide. Der Profifußball war und ist weltweit etabliert.

Was macht nun den heutigen Fußballprofi aus?

Talent wird selten durch soziale Herkunft beeinträchtigt. Davon profitiert der Fußballprofi. Er verdient in relativ kurzer Arbeitszeit übermäßig viel Geld und sein „Ruhestand“ beginnt oftmals vor dem Erreichen seines vierzigsten Lebensjahres. In seiner aktiven Zeit kann er, unabhängig von seiner bisherigen Sozialisation, eine hohe öffentliche Anerkennung generieren. Leider nutzen nur wenige der heutigen Stars die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, gesellschaftsrelevante Skills zu erwerben und weiter zu vermitteln.

Zusammenfassend kann die DNA des heutigen Profifußballs mit folgenden Schlagwörtern belegt werden: Bezahlung – Niveau – Infrastruktur – Wettbewerb – Wirtschaftsfaktor – Außenwirkung

Vorbild sieht anders aus

Viele Verhaltensweisen, die allenthalben in den Medien zu beobachten sind, entstammen offenbar einer eigenen Kultur und Identität des Profifußballs und weichen vielfach stark von denen anderer Sportarten ab.

So verrät der ehemalige Bayern-München-Angreifer Franck Ribéry dem Nachrichtenmagazin „stern“ nach einem Besuch des Edelrestaurants „Nasr-Et“ 2019 in Dubai, „… dass für ihn das goldüberglänzte Tomahawk-Steak auf den Tisch und in sein Leben als Fußballer gehört!“ Oder neun Profis von RB Leipzig lassen vor einem Bundesligaspiel Promi-Friseur Sheldon Edwards aus England nach Frankfurt ins Teamhotel „Villa Kennedy“ einfliegen, um sich frisieren zu lassen, wie das Fußballmagazin „Kicker“ 2020 erfuhr.

Es scheint im Profifußball auch „zum guten Ton“ zu gehören, Schiedsrichter-entscheidungen grundsätzlich, oft wild gestikulierend, anzuzweifeln. Im eigentlich sicheren Wissen, dass solches Tun eher weitere Maßnahmen nach sich zieht, bedient man sich, wider allen Verstandes, dieser Attitüde. Wie angenehm sind da Handballer oder auch die Fußballfrauen zu beobachten, die Entscheidungen schlichtweg akzeptieren – Punkt!

Eine der häufigsten negativen Verhaltensweisen ist das Schauspielern, das als unehrlich und unsportlich angesehen werden muss. Auch das vorsätzliche Foulspiel, wie etwa bei der „Notbremse“, die ein 1:1 – Duell mit dem Torhüter vermeiden soll, wird vielfach als quasi „akzeptabler Regelverstoß“ angesehen, obwohl dabei die Gefahr der unmittelbaren Verletzung billigend und bewusst in Kauf genommen wird.

Zudem mangelt es Profifußballern vielfach an angemessenem Benehmen, wenn sie beispielsweise ständig auf dem Rasen ausspucken oder ihr Nasensekret auf selbigem entsorgen. Nach neuesten Presseberichten bekommen Bayern-Profis eine Strafe von € 10.000 angedroht, wenn sie in der Kabine ausspucken – da fehlen die Worte.

Fußballprofis scheinen auch, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Sportlern, Gefallen daran zu finden, als „lebende Litfassäulen“ zu fungieren: zutätowierte Körper, ausrasierte Kopfscheitel, gegeltes, gern auch eingelocktes Haar und ein bisschen Werbung für Haarwuchsmittel – ganz im Sinne von Schickimicki.

Eigentlich würde man sich von Personen des öffentlichen Lebens, die ja Fußballprofis heute ohne Zweifel darstellen, auch Stellungnahmen und Meinungen zu gesamtgesellschaftlichen und politischen Geschehnissen wünschen. Führt man sich dazu allerdings die quantitativ und qualitativ kläglichen Worte während der Weltmeisterschaft in Katar vor Augen und reflektiert die halbherzige „One-love-Bindenaffäre“, stellt man fest, dass das nur rudimentär passiert. Bei der WM wäre Gelegenheit gewesen, für Vielfalt, Offenheit und Toleranz in dieser Welt zu werben. Eine vertane Chance, in Sachen Zivilcourage ist da noch „viel Luft nach oben“.

Überhaupt erscheinen Interviewworte von Spielern und Trainern oft wie vorgefertigte Worthülsen, ohne Aussagekraft und manches Mal von peinlicher rhetorischer Schwäche. Dafür überschlagen sich Moderatoren lautstark in ihren Kommentaren: da ist dann alles gleich „unglaublich“, „phantastisch“, „außerirdisch“, „brutal genial“, Spieler werden zu „Ausnahmetalenten“, „Superstars“ hochstilisiert und es wird wie selbstverständlich und laufend von der Qualität eines Spielers gesprochen – wie auf dem Wochenmarkt beim Gemüseeinkauf!

Auch Trainer der ersten Reihe, wie der ehemalige Bayern-Coach Julian Nagelsmann, bedienen sich fragwürdiger Sprachmuster, wenn er der Berliner Morgenpost 2023 sagt, „es gehe darum, das Gewinnen zu lieben und das Verlieren zu hassen.“ Geradezu ausfallend wurde er in Richtung des Schiedsrichtergespanns um Tobias Welt, als er von „weichgespültem Pack“ sprach und fragte: „Will der mich verarschen?“ Bei Hertha-Coach Sandro Schwarz sollte man apodiktisch „eklig agieren und gierig nach einem Sieg streben“ oder „… nicht nach einer Niederlage betteln“ – absurde Wortspiele! Und zudem wird der Zuschauer fortwährend mit einem plump-vertraulichen „DU“ angesprochen. All das zeigt Ausfälle und eine bedauerliche Verrohung unserer Sprache, es zeigt ein offenbar alternativloses und unreflektiertes „Entweder-Oder“, man bedient sich einer Sprachwahl „ohne Zwischentöne“. Das spiegelt eine subtile Form von Gewalt wider, die sich unsere Kinder und Jugendlichen nicht zu eigen machen dürfen.

Inhaltlich erwartet man seit Jahren aus dem männlichen Fußballbereich eine befreiende Initiative zur Problematik der sexuellen Selbstbestimmung. Die Wissenschaft geht davon aus, dass heute ca. 20% aller Menschen in unserem Lebensraum multisexuell orientiert sind. Das würde statistisch in jeder Fußballmannschaft zwei Spieler betreffen – totschweigen ist angesagt. Dafür blendet man in Spielpausen gern die „Spielerfrauen“ ein – als würde es keine „Spielermänner“ geben!

Auch kriminelles Verhalten von Profifußballern, wie die Verurteilungen des Spielers Jérôme Boateng wegen häuslicher Gewalt und Körperverletzung, wirken verheerend, weil relativierend auf den Nachwuchs. Das Strafverfahren gegen den Nationalspieler Christoph Metzelder wegen Besitzes und Weitergabe von Kinderpornografie macht deutlich, welche Defizite auch im Profifußball noch aufzuarbeiten sind. Es bleibt zu hoffen , dass sich die Schlägereivorwürfe gegen den Herthaner Marius Gersbeck,  übrigens einmal Schüler des Autors, nicht bestätigen.

Wo Menschen als Ware gehandelt werden, wo der kurzfristige Erfolg das Maß aller Dinge darstellt und Trainer bei temporärer Erfolglosigkeit gnadenlos „gefeuert“ werden, wo neue Wege wenig Chancen haben, wenn die marktgerechte Umsetzung nicht unmittelbar greift – in diesem System hat eine „Institution Schule“ mit ihren übergeordneten Bildungszielen einen schweren Stand und oftmals keinen Platz, und das ist dann auch gut so – dazu später mehr.

Aus pädagogischer und gesamtgesellschaftlicher Hinsicht entwickelt der Profifußball in Deutschland leider keine positive Vorbildwirkung – vorsichtig ausgedrückt.

Fußball als Show – die Folgen der Kommerzialisierung

Die Geschäfte um den Fußball machen diesen Sport zu einer Show.

„Der Profifußball als Showsport stellt […] eine Symbiose von Sport, Kommerz und massenmedialer Präsentation dar. […] Was sich verändert hat, ist nicht das Spielen, das sind die Spieler, die Zuschauer und der Verein“, stellt der Soziologe Rolf Lindner schon 1983 fest. Der Fußballspieler hat sich dabei vom lokal verwurzelten und identitätsstiftenden Repräsentanten des „Normalbürgers“ zum allumfassenden Showprofi entwickelt. Seine Möglichkeiten in der täglichen Lebensgestaltung sind mit denen seiner Anhängerschaft bei weitem nicht mehr zu vergleichen. Auch die Vereinstreue, die wir in den Nachkriegsjahren beispielsweise noch bei Spielern wie Uwe Seeler angetroffen haben, ist heute an die Laufzeit von Verträgen gekoppelt.

Darüber hinaus versuchen sich Fußballer auch als Medienplayer, auf dem Showparkett mit Interviews, in Live-Sendungen und auf Afterpartys als intellektuell und rhetorisch sichere Showsportstars zu präsentieren. Dabei wird ein ums andere Mal deutlich, dass ein Starspieler auch „nur“ ein Mensch ist, der etwas besser mit dem Ball umgehen kann, als die meisten anderen.

Mit der zunehmenden Ökonomisierung schoben sich wirtschaftliche vor ideelle, kulturelle und soziale Interessen, von denen die Vereine früher beeinflusst und gelenkt wurden. Ein Übriges trug die Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre zur Situation bei: Kapitalanlagemöglichkeiten im tertiären Sektor wurden getätigt und machten Fußballvereine zu Dienstleistungsunternehmen. „Der Fußball wurde zu einem Produkt, bei dem die Rendite sicherer war als an der Börse,“ stellt der Ökonom Michael Rautenberg 2008 fest. Und der Sozialökonom Harald Christa ergänzt, dass der Fan zum Konsumenten, der Spieler zum Investitionsobjekt mit der Chance auf Refinanzierung oder Rendite und zu einem Sportler wurde, dessen vorherrschendes Bestreben nicht der Fußballsport sondern der Verdienst ist. Mit der verstärkten Bedeutung des Mediums Geld wurden Spieler und Fans zur Hauptdarstellern des Systems „Fußballunternehmen“.

Einnahmequellen der Fußballvereine sind längst nicht mehr nur die zahlenden Zuschauer. Fernsehgelder, internationale Wettbewerbe, Merchandising, Promotion-Touren und Transfererlöse gehören heute ebenfalls und verstärkt dazu.
In Südamerika zum Beispiel werden Fußballspieler für den europäischen Kontinent ausgebildet und erzielen dadurch hohe Transfergelder.

Es entwickelte sich seit den 1960er Jahre im Profifußball der Männer ein Medien-Sport-Komplex, ein Zusammenwachsen von Sportanbietern, Medien, Eventagenturen und internationalen Konsumgüterunternehmen, der fast nur noch nach ökonomischen Überlegungen funktioniert.

Fußball und Eliteschulen des Sports –  passt das?

Die Hanns-Braun-Straße, im noblen West-Berliner Westend gelegen, erfüllt zwei Funktionen: Zum einen dient sie den Privilegierten, die den nahen Olympiapark   befahren dürfen, als Zufahrtstraße zu allerlei Aktivitäten um das Olympiastadion herum, vorbei an einer von mürrischen Wärtern bewachten Schranke. Alle anderen nutzen den Straßenrand als Parkmöglichkeit, um per pedes auf das Gelände zu gelangen. Zum Beispiel um, wie 2020 geschehen, an einer Vorstandssitzung teilzunehmen. Da sind dann auf dem Gelände vor dem Areal von Hertha BSC die Karossen zu bewundern, mit denen sich die Profis des Vereins und deren Entourage fortzubewegen pflegen. Egal – ob geleast oder gekauft – da sammeln sich einige Millionen Euro auf dem Parkplatz. Nach getaner Arbeit kreuzen sich dann gegen Abend die Wege aller Beteiligten. Als Fußgänger tut man gut daran die Augen offen zu halten, um gesund wieder an seinem Auto zu landen. So konnte sich der Autor vor einigen Monaten gerade noch in sein Auto retten, als ein SUV –  dieses Fahrzeug heißt wohl wie das Schalentier „Hummer“ – mit abartiger Geschwindigkeit haarscharf an ihm vorbeidüste.  Am Steuer konnte ein „Jungstar“ der Hertha-Bundesligagarde gerade noch ausgemacht werden. Puh, noch einmal davongekommen!

Gleichwohl führte dieses Erlebnis dazu, diese Welt des Fußballs, nach vielen Jahren des unmittelbaren und beruflichen Erlebens, noch einmal etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Und je intensiver, je tiefer man sich in diese Thematik hineinbegab, je öfter das Gespräch mit anderen suchte, desto fremder und ungewöhnlicher präsentierte sich das Geschehen. Irgendwann fiel auch hier das Schlagwort von der „Parallelgesellschaft Profifußball“.

Nun kennt man diese Begrifflichkeit gemeinhin aus der Clan-Community, wo sie eine Gemeinschaft beschreibt, die sich in einer Eigenorganisation von der Mehrheitsgesellschaft abschottet, ihr eigenes Wertesystem entwickelt und geltende Moralvorstellungen oftmals missachtet. Lassen sich hier Strukturen und Verfahrensweisen im Profifußballtums wiederfinden, die diesen Vergleich rechtfertigen? Vielleicht sogar welche, die von einer breiten Öffentlichkeit akzeptiert werden?

Suchen wir nach weiteren Indizien.

Das soeben beschriebene rücksichtslose Verhalten jedenfalls passt „ins Bild“. Aus eigener Anschauung kann berichtet werden, wie die dem Profisport zuzurechnenden Sportarten, vor allem der Fußball, in teils arroganter und geringschätziger Art versuchten, ihre individuellen Interessen an der Eliteschule des Sports, oft zum Nachteil anderer Sportarten, durchzusetzen. Ob es um die bevorzugte Aufnahme von Schülerinnen und Schülern, um deren vorzeitiges Ausscheiden, oder auch um pädagogische Grundsätze ging – vielfach waren die Dinge nicht auf einen Nenner zu bringen und bewirkten beträchtlichen Unmut auf beiden Seiten. Zudem vermittelten manche Vereinstrainer den Eindruck, dass das morgendliche Fußball-Schultraining eher belastend, wenig effektiv und sogar als kontraproduktiv einzuschätzen ist.

In dieses Bild passte es, als die  auf ihren berühmten Fußballschüler Mesut Özil so stolze  „Gesamtschule Berger Feld“ in Gelsenkirchen nach dem „Vorfall Erdogan“, wo dieser sich von dem türkischen Autokraten aushalten ließ, einen vorgesehenen Besuch als Folge kommentar- und klanglos absagte und sich damit ihrer Authentizität entledigte. Nicht Özils Auftreten als solches, sondern seine Unwilligkeit oder Unfähigkeit der nachträglichen Aufbereitung zeigen ein Defizit in den Erziehungsergebnissen der betroffenen Eliteschule des Fußballs und dokumentieren Mängel in der Ausbildung von Persönlichkeitsstrukturen dieses deutschen Fußballprofis. Die staatliche Schule, auch Fußball-Eliteschule des DFB, hätte stattdessen gut daran getan die Gelegenheit zu nutzen, um dem Fußballprofi zeitnah einige auch öffentlichkeitswirksame Erklärungen zu entlocken. Schließlich zeichnet ja seine Schule auch für die Entwicklung eines demokratischen Selbstbewusstseins, für politische Bildung und rhetorische Gewandtheit ihres Schülers verantwortlich – letztlich auch dafür, was es heißt, soziale Kompetenz zu entwickeln und somit eine Vorbildfunktion für Tausende junger Menschen auszuüben.  Den Granden des DFB und dem Profiverein schien Özils Schweigen recht zu sein, sie regten sich nicht, zu viel eigene Meinung scheint ihnen per se suspekt, gehorchen bleibt angesagt – unbedingte Loyalität steht vor erforderlicher Zivilcourage! Da lebt man lieber weiter in seiner eigenen Welt. Im Übrigen wirkten diese Vorfälle imageschädigend auf die Eliteschule des Sports per se.

Die Gesamtschule Berger Feld jedenfalls lieferte einen Beleg dafür, wie eine Sportschule sich ihrer Verantwortung entledigte und ihre Spielräume leichtfertig vergab, indem sie sich als staatliche Bildungseinrichtung dem Diktum des Leistungssports unterworfen hat.

Eltern und Trainer – „Projektion auf dem Platz“

Wenngleich das psychoanalytische Phänomen der Projektion im Sport allenthalben zu studieren ist, scheint das im Fußball besonders ausgeprägt zu sein. Vielfach gleicht der Spielfeldrand selbst bei Spielen im Schüler- und Jugendalter einem „aufgescheuchten Hühnerhaufen“ von Vätern und Müttern.

Offenbar werden hier Projektionen eigener Lebenswünsche auf das agierende Kind übertragen. Das führte in den vergangenen Jahren verstärkt zu disziplinarischen Ausfällen, die zum Teil erst durch das Einschreiten der Polizei beruhigt werden konnten. Nach einer Befragung des Berliner Fußball-Verbandes aus 2021 geben 83 Prozent der befragten Schiedsrichter an, schon mindestens einmal während einer Spielleitung Opfer verbaler Gewalt wie Beleidigungen, Bedrohungen und alle Formen diskriminierender Äußerungen geworden zu sein.

Zudem besteht im System Nachwuchsfußball offenbar eine Kohärenz im Verhalten von Eltern und Trainern: dem unbändigen Willen zum sportlichen – und damit vielleicht später finanziellen – Erfolg wird nahezu alles untergeordnet.

Aber allein auf überehrgeizige Eltern, Trainer, Spielerberater und Sportfunktionäre zu schauen reicht nicht aus. Auch die Protagonisten der Eliteschule des Sports gehören in dieses komplexe System und sind ebenso gefragt, Verantwortung zu übernehmen.

Profifußball, Schule und Geld – wie geht das zusammen?

Auch der übrige Hochleistungssport wird verstärkt überschattet von negativen Schlagzeilen: Korruptionsverdacht bei der Olympiavergabe an Tokio 2020, Dopingvergehen ganzer Sportverbände, Querelen einzelner Sportlerinnen und Sportler mit ihren Verbänden, Verfilzung von hohen Spitzenfunktionären mit einflussreichen Politikern, Missbrauchsvergehen im Schwimmsport. Es ist inzwischen ein erheblicher Ansehensverlust entstanden, der sich auch auf die Eliteschulen des Sports überträgt und dem im schulischen Diskurs begegnet werden muss.

Die heutigen Sportschulen werden nolens volens weiterhin im Verbund mit dem ambitionierten Leistungssport, auch mit den negativen Auswüchsen, bewertet werden. Sie täten gut daran, sich dem zu stellen und einen eigenständigen Beitrag zur „gemeinsamen Sache Leistungssport“ zu entwickeln.

Eine prominente Auseinandersetzung mit dem hoch kommerzialisierten Fußball und seinen völlig überzogenen Gehalts- und Transferleistungen ist dringend angeraten.

Und weiter: Worin liegt eigentlich noch die Legitimation dafür, dass durch die Vergabe von Schulplätzen öffentliche Gelder verstärkt in den Profifußball vergeben werden? Die Antwort muss später gegeben werden.

Grundsätzlich müsste auch die Diskussion darüber eröffnet werden, ob die vom DFB unterstützten Eliteschulen des Fußballs nicht separat und unabhängig von den Eliteschulen des Sports, unter Umständen auch als vom Profifußball finanzierte Privatschulen, arbeiten sollten.

… und trotzdem geht es weiter – ein Appell

Bei aller Kritik: Der Profifußball ist Teil unserer Gesellschaft und wird von ihr beeinflusst. Spieler, Trainer und Fans bringen dabei ihre eigenen Erfahrungen, Hintergründe und Überzeugungen ein. Dabei ist es wichtig, dass Fußballspieler sich bewusst sind, wie ihr Verhalten das Spiel und alle Beteiligten beeinflussen kann. Sie müssen sich bemühen, fair und respektvoll zu agieren; auf dem Spielfeld, aber auch davor und danach! In der Verantwortung der Schiedsrichter und Trainer liegt es, sicherzustellen, dass ihre Akteure ein akzeptables Verhalten an den Tag legen und dass Fehlverhalten nicht toleriert wird. Nur so kann es dem Fußball gelingen, erneut als eine Sportart mit positiven Werten wie Fairplay und Respekt anerkannt zu werden. Vielleicht gelingt es dann auch, die „Parallelwelt Profifußball“ ein Stück weit in die Vergangenheit zu verbannen. Es bleibt zu hoffen, dass der Frauenfußball davor geschützt bleibt und sich die Spielerinnen ihre Bodenständigkeit erhalten können.

So, jetzt muss ich mich sputen, um den Anpfiff nicht zu verpassen …