Unter dem Titel „Ein institutioneller Infarkt an der Berliner Schule veröffentlichte die BERLINER ZEITUNG am 19.6.2019 einen Gastbeitrag des geschassten Berliner Bildungsstaatssekretärs Mark Rackles (SPD). Hier meine Anmerkungen  dazu!

Jedem Besiegten fällt es schwer, den Grund seiner Niederlage an der einzig richtigen Stelle, nämlich in sich selbst zu suchen!“ gab schon Theodor Fontane im 19. Jahrhundert zu bedenken. Welch aktuelle Bedeutung dieser Aphorismus entwickelt, macht die aktuelle Bewertung der misslichen Berliner Schulsituation durch den entlassenen Bildungsstaatssekretär und SPD-Genossen Mark Rackles deutlich. Den in seiner Analyse herausgearbeiteten Essentials ist nicht grundsätzlich zu widersprechen, wenngleich sie in ihrer Ausführung partiell überzogen, falsch gewichtet und unvollständig erscheinen. Beispiel: Medien.

Als ehemaliger Schulleiter war auch ich nicht immer amused, wenn Pressevertreter meine Entscheidungen kritisierten. Auch mir bereitete die überzogene Nutzung der digitalen Gerätschaften vielfach Sorge und wir waren als Pädagogen aufgerufen, diesem neuen Trend mit Augenmaß zu begegnen. Die Medien jedoch zu den Hauptschuldigen der Berliner Bildungsmisere hochzustilisieren stellt die Dinge auf den Kopf. Ohne das bildungspolitische Engagement der Berliner Journalisten würden die endlosen Versäumnisse dieser Bildungsverwaltung nicht publik und könnten Veränderungen nicht in die Wege geleitet werden.

Ja, natürlich kann – wie Rackles moniert – eine manchmal fatale Empörungskultur beobachtet werden und zunehmende Aggressivität an den Schulen hat auch sicher etwas mit Vereinzelung und mangelnder sozialer Identifikation zu tun. Wenn er allerdings einen zeitlichen Reaktionsdruck bei der Behandlung von Problemsituationen beklagt und als Ursache von Fehlentscheidungen identifiziert, führt das ins Leere! Es kommt nicht darauf an, dass eine „ferne“ Behörde schnell – vielleicht sogar überstürzt – reagiert. In Konfliktsituationen ist es entscheidend, dass die einzelne Schule authentisch handelt und dabei schulaufsichtliche Rückendeckung erfährt. Das leisten starke und selbstbewusste Kollegien und Schulleiter sehr gut, wenn man sie denn lässt.

An dieser Stelle möchte ich wir den Rackles-Thesen ein weitere nicht nur hinzufügen, sondern eindeutig voranstellen: Die in den vergangenen Jahren zunehmende Tendenz zur Bevormundung der Schule, die auch durch die Absetzung von missliebigen Schulleitern und der Installierung von „linientreuen“ Schulleitern zum Ausdruck kam, hat die so stark postulierte Eigenständigkeit der Einzelschule inzwischen ad absurdum geführt. Hier seien nur die Beispiele Poelchau-, Bergius-, Eckschule genannt – die Liste ließe sich fortsetzen. Offenbar waren Herrn Rackles bei der Besetzung von Schulleiterstellen verwaltungsaffines Verhalten, mit weniger Polemik könnte man auch von Loyalität sprechen, gern auch das Sozi-Parteibuch, wichtiger als Zivilcourage und eigenständiges Verantwortungsbewusstsein. Überhaupt muss festgestellt werden, dass Herr Rackles in seiner Analyse dem Wirken des Lehrpersonals keine Bedeutung beigemessen hat. Das halte ich für einen elementaren und fatalen Fehler, der – das sei mir als alten Schulmeister erlaubt – in jeder Klausur zu einer erheblichen Abwertung geführt hätte. Die von der Senatorin Scheeres und der SPD, aber auch von Herr Rackles entscheidend mitverantwortete Berliner Bildungspolitik der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass die Lehrerschaft in weiten Teilen frustriert und ausgelaugt ihren Aufgaben nachgeht: Verbürokratisierung, unselige Testhysterie, Schulformdebatten, wenig valide Schulinspektionen, schlecht geplante Inklusionsbemühungen, fehlende und nicht ausgebildete Lehrer, Nichtverbeamtung von Lehrern, schlechte Schülerleistungen, marode Gebäude, peinliche Digitalisierungsaktivitäten….. Für zusätzliches Engagement und Innovationfreudigkeit der Lehrerschaft ist wenig übriggeblieben! All das verantwortet Herr Rackles in hohem Maße, ein entsprechendes Bekenntnis blieb aus.

Ein Mitte Januar 2019 vorgestelltes Paket von Maßnahmen, u.a. eine finanzielle Besserstellung von Grundschullehrern und eine Aufstockung des Deutsch- und Mathematikunterrichts, zielt in die richtige Richtung. Aber auch hier: Gut gedacht, schlecht gemacht.

Im Übrigen fehlt jegliche Strategie zum nachvollziehbaren Wunsch nach gleichmäßiger Verteilung ausgebildeter Lehrer an die Einzelschulen. Solange sich Lehrer ihre zukünftige Schule quasi aussuchen können ändert sich daran nichts. Einen Ausweg kann es hier nur geben, wenn sich „vermeintlich gute Schulen“ und „vermeintlich schlechte Schulen“ durch gezielte Steuerung der Schülerströme in ihrer Attraktivität annähern. Da hätte Herr Rackles den politischen Mut zur Initiative aufbringen können, das freie Elternwahlrecht partiell einzuschränken.

Der ehemalige Staatssekretär macht in seiner Analyse auch nicht deutlich, dass all das nur mit engagierten und leistungsfähigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Bildungsverwaltung umgesetzt werden kann. Deshalb ist die von vielen Bildungsexperten geforderte transparente Beurteilung der dortigen Schulaufsichts- und Schulinspektionsbeamten längst überfällig. Das wusste Herr Rackles in seiner Amtszeit zu verhindern.

Der „institutionelle Infarkt der Berliner Schule“ ist also keineswegs – wie von Herrn Rackles gefordert – durch den Aufbau neuer Institutionen in der Bildungsverwaltung, durch einen verschärften Pressekodex oder durch eine kontrollierte Elternkommunikation zu vermeiden. Vielmehr, und da ist Herrn Rackles beizupflichten, kann die Rückbesinnung auf klassische Bildungsideale, verbunden mit einer wertschätzenden Behandlung der am Schulleben Beteiligten wieder zu einer lebendigen und innovativen Berliner Schule führen. Der neuen Staatssekretärin und Herrn Rackles sei ein Zitat des Schweizer Literaten Kurt Haberstich (*1948) mit auf den Weg geben: „Wer seine Taten hin und wieder in frage stellt, wird keine schlechten Resultate erzielen.“