Diskussion um deren Sinnhaftigkeit führt zur Frage der Bestandsgarantie

veröffentlich in „BERLINER ZEITUNG“ vom 17. März 2023

Die Zeichen stehen auf Sturm! Seit durch eine Anfrage des Abgeordneten Stefan Förster Ende Februar bekannt geworden ist, dass es an den drei Berliner Eliteschulen des Sports viel zu viele Lehrerinnen und Lehrer für viel zu wenige Schülerinnen und Schüler gibt, kehrte in der Bildungsverwaltung hektische Unruhe ein. Jetzt will man sich, egal wer der Behörde demnächst vorstehen wird, ehrlich machen und schnell in Schadensbegrenzung üben. SPD- Staatssekretär Alexander Slotty hat lt. Auskunft an den Tagesspiegel nunmehr angekündigt, seine Frauen und Mannen zusammenzurufen, um Abhilfe zu schaffen. Löblich, wenn auch längst überfällig – aber vielleicht seine letzte große Aktion im Amt. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.

Aber der Reihe nach, worum geht es?

Ein langgehegter Joker des Berliner Schulsystems, die Eliteschule des Sports, findet sich ungewollt und abrupt auf dem Prüfstand wieder, weil enthüllt worden ist, dass hier seit vielen Jahren ungedeckte Lehrerstunde eingespeist wurden. Dazu muss man wissen, dass die drei Berliner Schulen, in Hohenschönhausen, Köpenick und Charlottenburg gelegen, mit traumhaft kleinen Klassen von 20 Schülerinnen und Schülern arbeiten dürfen. Das rechtfertigt sich nachvollziehbar aus der besonderen Aufgabe dieser Schulen heraus, nämlich durch verstärkte Trainingseinheiten sportliche Höchstleistung zu generieren, ohne die sonstige schulische Bildung zu vernachlässigen.

So ist vorgesehen, Jahr für Jahr 280 Schülerinnen und Schüler einzuschulen, die dann pro Jahrgang in 14 Klassen organisiert, unterrichtet werden sollen. Das ist die Theorie.

Fest steht aber, dass die Schulen seit fast zehn Jahren große Schwierigkeiten bei der Akquise sportlicher Talente haben. Wie die folgende Grafik zeigt, konstatieren die Schulen seit Jahren schwindende Schülerzahlen, dies bedauerlicherweise vor allem in den traditionellen Sportarten wie Leichtathletik, Turnen, Rudern und Schwimmen.

Schüler aufnahmen an den Berliner Eliteschulen des Sports 7. Jahrgang

Durch die Schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus wurde nun Näheres publik, und zwar in einem Ausmaß, das niemand so vermutet hätte.

Danach gab es (Stand: Februar 2023) an den drei Berliner Sporteliteschulen 336 unbesetzte Schulplätze, das sind fast 20% der Gesamtkapazität. Man zählt im Moment etwa 17 Klassen, die es nicht gibt, die „blind“ finanziert werden. Bei einer sparsam angesetzten Ausstattung von zwei Lehrer pro Klasse und einem Durchschnittgehalt von 4000 € werden somit monatlich 136.000 € aus dem Steuersäckel „in die Luft finanziert“.

Dieser ohnehin schon unglaubliche Sachverhalt wird dadurch besonders virulent, dass man ihn seit Jahren ignoriert, obwohl bekannt ist, dass die allgemeinbildenden Schulen gleichzeitig um jede Lehrkraft kämpfen müssen – das ist auch ein moralisches Dilemma!

Problemlagen der Berliner Sportschulen – Ursachen und Wirkung

Die schwindende Nachfrage kann in einer wachsenden Stadt wie Berlin mit nahezu vier Millionen Einwohnern eher weniger in der mangelnden Anzahl von Talenten begründet liegen. Die Situation erscheint auch deswegen erstaunlich, weil der Sport bekanntlich zu den „schönsten Nebensachen des Bundesbürgers“ zählt, positiv besetzt ist und sich ständiger Aufmerksamkeit bewusst sein darf. Eher scheint die nachlassende Interessenlage wesentlich an eine verbesserungsbedürftige Außendarstellung der Schulen gekoppelt zu sein.

Bis heute werden die Berliner Sportschulen von den politisch Verantwortlichen gern als die „Leuchttürme des Berliner Schulwesens“ bezeichnet, sie werden gelobt, verhätschelt und – nicht zuletzt – auch mit erheblichen Steuermitteln bedacht. Jeder dieser Schülerplätze ist mehr als doppelt so teuer wie der an einem herkömmlichen Gymnasium! Überdies wird durch das Engagement außerschulischer Kräfte und deren finanziellem Engagement ein weiterer Mehrwert generiert, wie etwa durch potente Profivereine.  Diese Engagements gehören zu den Essentials von Spezialschulen, sie bilden die Brücke zwischen Schule und Gesellschaft.

Die drei Berliner Schulen des Leistungssports werden allerdings in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Auch belastet es die Reputation dieser Spezialschule, dass es bisher keine wissenschaftliche Untersuchung gibt, die deren Effektivität überzeugend nachgewiesen hätte. Die Debatte um die Eliteschule des Sports erfährt im Übrigen auch darin eine interessante Komponente, dass sich die Sporteliteschülerinnen und -schüler zunehmend in Konkurrenz zu einer erheblichen Zahl von Sportlerinnen und Sportlern wiederfinden, die es auch ohne den Besuch einer solchen Spezialschule zu sportlichen Spitzenleistungen bringen.

Leider können die Sportschulen also auch in ihrer inhärenten Sache, dem Leistungssport, nicht mehr eindeutig punkten! Die Leistungsspitze der Erwachsenen wird seit längerem schon nicht mehr ausschließlich durch Absolventeninnen und Absolventen der Eliteschulen des Sports gespeist. So hatten von den 61 Berliner Teilnehmern an den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio lediglich knapp die Hälfte jemals eine Sportschule von innen gesehen.

Offenbar finden Leistungssportlerinnen und Leistungssportler heute verstärkt auch andere Wege zum Erfolg. Somit stellt sich die Frage nach der Effizienz der Berliner Eliteschulen des Sports einmal mehr und nun auch verstärkt.

 

Mangelndes Innovationsgeschehen

Die Bemühungen von Berliner Sportschulen, sich lediglich durch das Etablieren immer neuer Sportarten zahlenmäßig zu stabilisieren und zu regenerieren, mussten und müssen fehlschlagen.  Sie sind nicht zielführend. Geradezu absurd etwa sind Pläne, auf dem Olympiagelände ein Sportinternat einzurichten in dem Wissen, dass die bestehenden Internate seit vielen Jahren eher zu den Sorgenkindern der Schulen gehören; unter anderem deshalb, weil sie nicht ausreichend belegt werden können.

Stattdessen sollte an Verbesserungen in der Grundstruktur und im pädagogisch-soziologischen Bereich gearbeitet werden, „Flickschusterei“ führt sehr bald zu einem Zustimmungs- und Ansehensverlust. Die Elternentscheidung für oder gegen eine Sportschule wird nicht von der Anzahl der angebotenen Sportarten getragen, sondern hat viel mehr mit dem Ruf der Schule, dem Schultyp und dem Vertrauen in eine gute pädagogische Arbeit zu tun.

Zudem müssen alle Spezialschulen ihre Konzeption immer wieder und nachhaltig zur Diskussion stellen. Unsicherheit generiert Ablehnung: Seit vielen Jahren fragen beispielsweise Eltern von Sporttalenten, was denn mit ihren Kindern passiert, wenn die Leistungsstärke in der Spezialdisziplin nicht mehr auszureichen scheint. Antworten darauf bleiben im Vagen, da es die Berliner Bildungsverwaltung mit den Schulen seit Jahren nicht geschafft hat, ein entsprechendes Modell für diese Schülerinnen und Schüler zu entwickeln. Der Hinweis auf den Wechsel in eine andere Sportart bleibt zu spekulativ. Zur Wahrheit gehört, dass diese Schüler/innen in Berlin vielfach die Schule verlassen müssen. Ein Blick nach Potsdam würde da helfen.

Auch steht eine Reflektion über eine zu frühzeitige Spezialisierung auf eine Sportart, und damit auf eine nur auf den zeitnahen Erfolg fixierte sportliche Ausbildung, unbeantwortet in der trainingsmethodischen und sportsoziologischen Fachdiskussion. Klarheit in der Perspektive schüfe nötige Sicherheit und Vertrauen!

Fazit und Perspektive

Die jetzt bekannt gewordenen Schülerzahlen werden viele Kritiker auf den Plan rufen. Zudem werden leere Kassen in den kommenden Monaten und Jahren eine fiskalische Diskussion in allen Bereichen des öffentlichen Lebens nach sich ziehen. Wenn sich die Berliner Sportschulen aktuell orientieren, ihre Stärken herausstellen, sich kritisch selbst beleuchten und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen und umsetzen, können sie ein wichtiger Bestandteil der Berliner Bildungslandschaft bleiben resp. wieder werden. Dann werden auch Öffentlichkeit und Politik hinter dem Modell stehen. Jede der drei Schulen kann ihr eigenes Profil als Alleinstellungsmerkmal entwickeln, ohne dadurch aus der Runde der deutschen Eliteschulen des Sports ausscheren zu müssen. Da ist auch die Frage nach einem veränderten Schultyp nicht sakrosankt!

Wenn nicht, werden sie voraussichtlich in noch tieferer Bedeutungslosigkeit versinken. Schon finden sich die drei Schulen in der Presse in ihrer unterschiedlichen Attraktivität beschrieben, damit wird ein verdecktes Ranking provoziert. Die Öffentlichkeit wird fragen, ob denn drei Berliner Sportschulen nötig und finanzierbar sind, ob nicht die Konzentration an einem Standort ausreichend ist, im äußersten Fall werden die Schulen ihren Status als Eliteschulen des Sports verlieren.

Also Schulen, in die Offensive! Auf eine schützende Hand der alten und in weiten Teilen bekannt desolaten, SPD-geführten Bildungsverwaltung kann wohl nicht mehr gesetzt werden.

 

Epilog

Wie wär’s mit einem mutigen Schwenk zum Sportgymnasium? Und die Fußballer können vielleicht eine Schule in eigener Trägerschaft gründen?