Schulaufsichtsbeamte überfordert
Da war man gerade so weit, dass man dachte, auf dem richtigen Weg zu sein – auf der Ernst-Reuter-Oberschule, einer großen Sekundarschule im Gesundbrunnen. Endlich wieder mehr Anmeldungen für die 7. Klassen, endlich wieder mehr Akzeptanz bei den Eltern im Kiez.
Und dann das: 2015 Papierkügelchen auf Schauspieler im Admiralspalast, und jüngst die erschreckenden Berichte über den baulichen Zustand der Schule, Gewalt und entnervte Lehrerinnen und Lehrer. Nun hat ja das Schreiben von „Brandbriefen“ Konjunktur und nicht überall brennt’s dann auch wirklich. Was ist los an dieser ehemaligen Vorzeige- Gesamtschule des Altbezirks Wedding? Da lohnt es, mal zurückzuschauen!
Die Ernst-Reuter-Schule in der Weddinger Plumpe, so die vom Berliner Volksmund genannte Gegend um Behmstraße und Luisenbad und Heimat von Hertha BSC, ist eine Schule mit langer Tradition im alten West-Berlin. Vor der Teilung Berlins als Oberschule praktischen Zweigs gegründet, wandelte sie sich danach zur Hauptschule und durfte 1953 den Namen des großen Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter annehmen. Unter dem charismatischen Schulleiter Rudi Huth, sein Sohn ist heute kommissarischer Schulleiter, reüssierte die Schule, unmittelbar an der Mauer gelegen, sehr bald zu einer der Vorzeige- Hauptschulen Berlins. Hier wurde „mit Strenge und Herz“ auf das spätere Leben, vor allem natürlich auf den Beruf, vorbereitet. Die Weddinger Arbeiterfamilie schickte ihre Kinder sehr gern in die Stralsunder Str., war man sich doch sicher, dass die Kinder hier bestens auf das Leben vorbereitet werden.
Dann kamen die großen Reformjahre, die aufgrund der Beschlüsse des Bildungsrates 1968 das Schulsystem völlig umkrempelten. Berlin natürlich, wie immer, vorweg! Aus der Ernst-Reuter-Schule wurde 1978 eine integrierte Gesamtschule – und hier begann das eigentliche Dilemma! Nicht der Schultyp war es; es war die Entscheidung der Politik, die drei Weddinger Gesamtschulen, Ernst-Schering-Oberschule und Willi-Brandt-Oberschule sind die zwei anderen, ohne eine eigenständige gymnasiale Oberstufe auf den Weg zu schicken. Ein fataler Fehler, der den Schulen bis heute zu schaffen macht. Es entstand das „Weddinger Modell“. Den drei Gesamtschulen wurde eine eigenständige Gymnasiale Oberstufe – ohne Mittelstufe und an einem weiteren Ort – zugeordnet: die Theodor-Heuss-Oberschule. Die politisch Verantwortlichen übersahen dabei, dass eine Gesamtschule ohne gymnasiale Oberstufe und eine Gymnasiale Oberstufe ohne Mittelstufe immer ein Rumpfgebilde bleiben werden! Aber, auch das wurde bald deutlich, durch vielerlei Aktivitäten – man denke zum Beispiel an die berlinweit bekannten Seifenkistenrennen auf der Badstraße – und ein erfahrenes Kollegium konnte sich die Ernst-Reuter-Oberschule gut etablieren. Selbst die übermäßige Größe, zehn parallele Klassen pro Jahrgang waren keine Seltenheit, wurde gemeistert. Dabei kam der Schule zugute, dass sie viel Platz im Gebäude und vor allem auf dem Gelände vorzuweisen hatte. Eigentlich war bis in die späten 80er- Jahre alles soweit schick!
Und dann die Wende. Jetzt passierte der zweite fatale Fehler. Ohne die notwendige Differenzierung wurden die ehemaligen Ostberliner Oberschulen zu Gesamtschulen umgewandelt. Später wurde Wedding zu Mitte und Schulen beiderseits der gefallenen Mauer waren zur Kooperation aufgerufen. Gar nicht einfach, DDR-sozialisierte mit West-Berlin-gestählten Lehrern, Eltern und Schülern zusammenzufügen!
Da ergab es sich, dass eine nicht mehr nachgefragte Schule in Alt-Mitte auslaufen sollte. Die noch verbleibenden Schülerinnen und Schüler wurden mit ihren Lehrern an die Ernst-Reuter-Schule transferiert. Ein Bonbon hatte man allerdings dabei: Diese Schule brachte eine gymnasiale Oberstufe mit und damit die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur zu betreuen. Großer Jubel setzte nicht ein, aber immerhin erfuhr die Schule dadurch eine nicht zu vernachlässigende Aufwertung. Dass es die beiden anderen Weddinger Gesamtschulen, weiterhin ohne Oberstufe, dadurch noch schwerer hatten, nahm man wohl billigend in Kauf – aber das nur nebenbei.
Eigentlich sollte es jetzt, nachdem beide Schulen zusammengelegt waren, aufwärts gehen. Man konnte erste Abiturienten melden, die Schülerschaft entwickelte allerdings nicht die gewollte Heterogenität mit solchen aus „Ost und West“. Neueinschulungen rekrutierten sich fast ausschließlich aus Wedding und – schon damals – mussten immer wieder Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden, die woanders keinen Schulplatz erhalten hatten. Dazu kam es auch im Kollegium und auch schon damals in der Schulleitung zu Friktionen – die Ost-West-Problematik zeigte Wirkung. Schon zu dieser Zeit schüttelte man über Schulaufsichtsbeamte den Kopf, die reihenweise im Osten nicht mehr benötigte Schulleiter in den Westen umverteilten.
Nun erfuhr die Ernst-Reuter-Schule eine weitere Wandlung. Man mutierte von der Gesamtschule zur Sekundarschule. Dieser Wandel bereitete und bereitet vielen Berliner Schulen erhebliche Probleme. Gut gemeint aber schlecht gemacht – könnte man dieses Vorhaben der Berliner Bildungspolitiker beschreiben. Vor allem die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen zu nunmehr Integrierten Sekundarschulen bereitet dem Bezirk Mitte, zu dem ja dann auch Tiergarten gehörte, erhebliche Probleme. Da hatte es die Ernst-Reuter-Schule besser, denn alte Gesamtschule und neue Sekundarschule unterscheiden sich strukturell nur in Nuancen. Und eigentlich war ja nun wieder alles im Lot – Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe, das wurde im Lande Berlin ja durchaus angenommen!
Aber schon wieder hatte die Schule Pech. Es gab keine notwendige Kontinuität in der Leitung. Heute weiß man, dass eine „gute Führungsetage“ sehr viel bewirken kann. Schulleiterinnen und Schulleiter sind die Schlüsselpersonen für das Gelingen der Arbeit an einer Schule. Leider hatte sich diese Erkenntnis offenbar noch nicht in die Schulaufsichtsetagen des Bezirks Mitte herumgesprochen. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass der Ernst-Reuter-Schule nun eine Schulleiterin präsentiert wurde, die den umfassenden Aufgaben dieser Schule nicht gewachsen war.
Auch zogen verstärkt Familien mit Migrationshintergrund in das umliegende Wohngebiet, so dass der Anteil dieser Schülerinnen und Schüler auf konstant hohem Niveau blieb. Schlechte Ergebnisse in Abitur und Mittlerem Schulabschluss taten ein Übriges!
Nun dieser Brandbrief und die Negativschlagzeilen in der Presse. Man muss der Schule, vor allem auch dem neuen Schulleiter, die Daumen drücken, Mut zusprechen, alle ermuntern weiter zu machen, neue Anläufe zu wagen.
Das ist leicht gesagt, ist doch von Seiten der Bildungspolitiker in Land und Bezirk nicht viel zu erwarten. Nach wie vor wird die Schule vollgestopft mit Schülerinnen und Schülern anderer Bezirke, nach wie vor werden die Lehrerinnen und Lehrer mit dieser Schulreform allein gelassen, nach wie vor sind noch die Schulaufsichtsbeamten im Amt, die eine Evaluation ihrer Arbeit bisher erfolgreich verhindert haben.
Also, trotz allem, viel Glück Ernst-Reuter-Schule!